„Man sieht das, was man schon weiß, und fühlt sich in seinen Vorurteilen bestätigt“ Sphinx: als großes Rätsel, als mythische Figur, als Produkt einer von einer grandiosen Natur und Landschaft geprägten Nation. Gleichzeitig leite- ten die Philologen aus seinem Werk ein Bild von Norwegen als Land der Moderne und des Fort- schritts ab – als Gegensatz zu den altmodischen Ländern des Südens. Die deutsche Philologie, so Grage, reklamierte die skandinavische Litera- tur für sich und berief sich wegen derselben Wur- zeln auf eine Stammverwandtschaft. „Weil die Sprachen verwandt sind, müssen auch die Völker verwandt sein.“ Dass die Skandinavistik bis in die 1970er Jahre hinein an den deutschen Universi- täten fest in der Germanistik verankert und erst von da an in eigenen Instituten mit eigenen Lehr- stühlen vertreten war, ist ein deutlicher Hinweis auf diesen vereinnahmenden Umgang mit skan- dinavischer Literatur. Frankreich oder Belgien dagegen pflegten, so Grage, einen neutraleren und vergleichenden Blick. Die Vorliebe der Deutschen für skandinavische Krimis, die unkonventionelle Frauenfigur Lisbeth Salander in Stieg Larssons „Millennium“-Trilogie, das Vorbild Skandinavien, wenn es um Pisa-Tests und den Wohlfahrtsstaat geht, das schwedische Möbelhaus mit dem Elch als Inbegriff unkomplizierter Wohnkultur, norwegische Fjordlandschaften als Urbilder einer unberührten Natur, die Kindheitsidylle in Astrid Lindgrens „Bullerbü“-Geschichten: All das mag mitschwingen, wenn Menschen heute hierzu- lande an die Länder des Nordens denken. Die Bilder stehen, wie Grage und Mohnike zeigen, in einer lan- gen Tradition. Die ganze Wahrheit liefern sie nicht, sagt Mohnike: „Man sieht das, was man schon weiß, und fühlt sich in seinen Vorurteilen bestätigt.“ www.pr.uni-freiburg.de/go/building-the-north- with-words Zum Weiterlesen Livingstone, D. N. (2003): Putting science in its place. Geographies of scientific knowledge. Chicago. Mohnike, T. (2010): Eine im Raum verankerte Wissenschaft? In: Nordeuropa-Forum 20/1-2, S. 63–85. Mohnike, T. (2013): Frédéric-Guillaume / Friedrich-Wilhelm Bergmann und die Geburt der Skandinavistik in Frankreich aus dem Geiste der vergleichenden Philologie. In: Hoff, K. / Schöning, U. / Øhrgaard, P. (Hrsg): Kulturelle Dreiecksbeziehungen. Aspekte der Kulturvermittlung zwischen Frankreich, Deutsch- land und Dänemark in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Würzburg, S. 277–297. Dr. Thomas Mohnike hat 1993/94 Kunstgeschichte, Theater- und Religions- wissenschaften in den USA und von 1994 bis 2001 skandinavische und germa- nische Sprach-, Literatur- und Kulturwissenschaften in Kiel, Uppsala/Schweden und Berlin studiert. 2006 wurde er an der Universität Freiburg promoviert. Von 2003 bis 2010 koordinierte er das Netzwerk für Skandi- navistik der Europäischen Konföderation der Ober- rheinischen Universitäten (Eucor). Seit 2009 ist er Direktor der Abteilung Skandinavienstudien an der Université de Strasbourg. Seine Forschungsschwer- punkte sind imaginierte Geographien – Konstruktio- nen von Identität und Anders- artigkeit in Nordeuropa, die transnationale Geschichte der Skandinavienstudien und die Rezeption der nor- dischen Mythologie seit dem Mittelalter. Foto: Hanspeter Trefzer Prof. Dr. Joachim Grage hat Deutsch, Chemie und Skandinavische Philologie in Göttingen und Kopen- hagen /Dänemark studiert. Nach der Promotion 1999 in den Fächern Skandinavische und Deutsche Philologie war er wissenschaftlicher Mitarbeiter, Juniorprofessor und schließlich von 2004 bis 2006 Direktor des Skandinavischen Seminars in Göttingen. Seit April 2008 ist er Professor für Nordgermanische Philologie (Neuere Literatur- und Kulturwissenschaft) und Direktor des Skandinavi- schen Seminars der Univer- sität Freiburg. Seine Forschungsschwerpunkte sind skandinavische Litera- turen vom 17. Jahrhundert bis zur Gegenwart, Inter- medialität von Literatur und Musik, literarische Prakti- ken und Performativität von Literatur, Søren Kierkegaard, Naturdichtung und literari- sche Naturdiskurse sowie skandinavisch-deutsche Kulturbeziehungen. Foto: privat 11uni wissen 01 2015 11uni wissen 012015