Kiezdeutsch, Türkenslang, Ghettosprache – Vanessa Siegels Untersuchungsgegen- stand hat viele Namen. Doch womit sich die wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Professur für Germanistische Linguistik der Universität Freiburg beschäftigt, wird erst dann richtig klar, wenn sie sagt: „Ich bin Jugendhaus“ oder „Ich geh Schule.“ Diese reduzierte Sprache, die in den Ohren deutscher Muttersprachlerinnen und Muttersprachler klingt, als hätte jemand ein paar Grammatikstunden im Deutschkurs geschwänzt, schaut sich die Doktorandin genauer an. Siegel will mit ihrer Arbeit ein Profil dieses Sprachstils erstellen. „Es gibt bisher einfach fast nichts dazu. Jeder kennt diese Form des Spre- chens, aber umfassende empirische Studien sucht man vergeblich“, sagt die Sprachforscherin. Das ist insofern erstaunlich, als es sich um keine neue Erscheinung handelt. „Das Phänomen hat, historisch gesehen, durchaus mit Migration zu tun, es hat seinen Ursprung vermutlich irgendwo bei türkischen Jugendlichen in der Großstadt.“ Es gibt Belege dafür, dass Jugendliche in Frankfurt schon vor 20 Jahren so gesprochen haben. „So“ meint: syntaktisch reduziert. Im Vergleich zum Standard- deutsch fallen also Wörter weg, die vor allem grammatische Funktion haben. Artikel zum Bei- spiel: „Komm, du bist doch aus kurdische Krieg gekommen.“ Oder Präpositionen: „Wir waren halt so Campingplatz und so.“ Oder auch Pronomen: „Wenn der ein paar Sachen nicht aussprechen kann, sagt der dann einfach auf Türkisch.“ Ausdruck der Identität Obwohl diese syntaktischen Strukturen schon lange den Stil bestimmter Jugendlicher prägen, sind sie erst in den vergangenen zehn Jahren im öffentlichen Bewusstsein aufgetaucht – durch Comedystars wie Bülent Ceylan. Dies hat dazu geführt, dass immer mehr Menschen im Scherz so sprechen. „Auch hier sagen die Kollegen mal: ‚Ey, kommst du mit Mensa?‘“, erzählt Siegel. Den meisten sei aber nicht klar, dass diese Sprache nicht von Menschen gesprochen werde, die „ir- gendwie noch nicht so richtig Deutsch können“, sondern von Menschen, die Deutsch als Mutter- sprache erlernt haben. Vornehmlich Jugendliche, vornehmlich in Stadtteilen mit hohen Migrations- anteilen. „Was viele nicht wissen: Die Jugendli- chen können durchaus Präpositionen und Artikel richtig setzen, sie tun es nur nicht immer“, sagt Siegel. Das habe nichts mit verminderter Sprach- „Und dann halt sind wir Schule gegangen.“ Illustration: Svenja Kirsch 17uni wissen 01 2015 17uni wissen 012015