onsverarbeitung sind. Sogar in scheinbar harmlosen Situationen sind sie unverzichtbar: „Stellen Sie sich vor, Sie warten am Flughafen oder gehen einkaufen“, sagt Klauer. „Würden Sie für jeden Einzelnen, der Ihnen begegnet, alle möglichen sozialen Kategorisierungen durch- spielen, wären Sie sofort überfordert.“ Damit das Gehirn nicht wie ein überlasteter Rechner zu- sammenbricht, greifen Menschen auf Denkscha- blonen zurück, auf allgemeine Annahmen, die sich als praktikabel erwiesen haben. Dieses öko- nomische Vorgehen ermöglicht ihnen, rasch zu entscheiden, Gefahren zu erkennen und sich durch den Informationswust zu kämpfen. „Gera- de in Situationen, in denen wir unter Druck ste- hen, greifen wir oft auf stereotypes Wissen zurück, ohne es zu prüfen.“ Nähert sich nachts eine bedrohlich aussehende Gestalt in schmud- deliger Kleidung, würden wohl die meisten die Straßenseite wechseln. „In solchen Situationen hat man keine Zeit, um zu überprüfen, ob indivi- duelle Hinweise darauf hindeuten, dass es sich um eine nette Person handeln könnte.“ Wer sagt was? Individualität ist also das, was Menschen ig- norieren, wenn vorgefertigte Meinungen zum Einsatz kommen: Mann mit schmutziger Klei- dung ist gleich obdachlos ist gleich gefährlich? Oder würde das Geschlecht vielleicht gar keine Rolle spielen, wenn die Situation eine andere wäre? Um herauszufinden, was die Wahrneh- mung beeinflusst, nutzt Klauer so genannte un- aufdringliche Verfahren. Seine Probandinnen und Probanden erfahren zunächst nicht, dass sie sich zu einer Studie über Vorurteile angemel- det haben. Am Bildschirm sehen sie eine Diskus- sion, zum Beispiel zwischen Männern und Frauen. Jede Sprecherin und jeder Sprecher tritt mit einem Statement auf: „Die Öffnungszeiten der Universitätsbibliothek kommen mir sehr ent- gegen.“ „Der Verwaltungsaufwand im Studium ist enorm.“ „Ich bin mit dem Vorlesungsangebot unzufrieden.“ Sollen hier etwa Vorurteile über den universitären Betrieb erforscht werden? Tatsächlich hat das Gesprächsthema nichts mit dem Experiment zu tun. Klauer nutzt das „Wer-sagt-was“-Paradigma, um zu überprüfen, worauf die Probanden ihre Aufmerksamkeit len- ken. Nach der Diskussion präsentiert das Team den Teilnehmerinnen und Teilnehmern einige der Statements, die sie den jeweiligen Personen zu- ordnen sollen. Nicht jeder kann mit einem lücken- losen Gedächtnis glänzen – darauf spekuliert Klauer. Wenn die Probanden eine Aussage falsch zuordnen, wählen sie meistens trotzdem eine Person aus der richtigen Kategorie, in diesem Fall „Mann“ oder „Frau“. Das bedeutet: Bei der Verarbeitung einer Aussage berücksichtigen Menschen offensichtlich das Geschlecht eines Sprechers, auch wenn es bei der Diskussion nicht um Geschlechtsunterschiede, sondern um die Öffnungszeiten der Bibliothek geht. Das „Wer-sagt-was“-Paradigma verdeutliche auch, wie das Gedächtnis funktioniere, erklärt der Forscher. Manchmal jubelt sein Team den Proban- den Aussagen unter, die nicht im Experiment vor- Weiß gegen Rot: Bei einem Experiment sahen die Probanden eine Diskussion zwischen zwei Sportteams mit weißen und schwarzen Basketballspielern. Die Studienteilnehmer nahmen nicht die Hautfarbe, sondern die Zugehörigkeit zu einer Mannschaft wahr. Foto: Patrick Seeger Unter Zeitdruck neigen Menschen oft zu Vorurteilen. Nähert sich eine bedrohlich aussehende Gestalt, würden die meisten schnell die Straßenseite wechseln – ohne darüber nachzudenken, ob die Person tatsächlich gefährlich sein könnte. Foto: Baschi Bender 26