„Werkzeugspuren und Holzquerschnitte geben Aufschluss über die Holzbearbeitung. Jahrringe und holzanatomische Merkmale ermöglichen die Datierung und paläoökologische Erkenntnisse“, fasst Tegel zusammen. Was er am Ende damit produziert, ist auf seinem Computer zu sehen. In rascher Folge ziehen in Grün- und Braunschat- tierungen gefleckte Karten von Europa über den Bildschirm: für jedes der vergangenen 2.500 Jahre eine Karte. Auf jeder lässt sich genau ab- lesen, wo in Europa es viel oder wenig geregnet hat, wo es trocken, wo es warm und wo es kalt war. Das Jahr 1315 war zum Bei- spiel ungewöhnlich regenreich, während zu Beginn des 15. Jahrhunderts eine mehr als 20 Jahre währende Dürre von dramatischen Aus- maßen herrschte. Die katastrophalen Folgen für die Menschen sind durch schriftliche Quellen belegt, doch die Bäume geben weit präzisere Aus- künfte über die Witterungs- verhältnisse. Vom Spätglazial bis zur Gegenwart Tegels Forschungsmaterial liegt überall in seinem Labor herum: Holzstücke aus ver- schiedenen Epochen und in verschiedenen Formaten. Da gibt es beispiels- weise dicke Scheiben von Schwarzwaldkiefern und Bohrkerne aus uraltem Eichenholz, dünn wie Mikadostäbchen und zum Schutz vor Beschädi- gung in schmale Leisten eingepasst. Diese Pro- ben wurden Balken und Pfosten entnommen, die vor mehreren Hundert oder gar mehreren Tau- send Jahren in Häusern, Umfriedungen und Brunnenschächten verbaut wurden. Tegel arbeitet mit Holz aus Epochen vom Spätglazial – dem letzten Abschnitt der jüngsten Eiszeit, also circa 12500 bis 10000 vor Christus – Das Foto zeigt einen stattlichen Eisbären, der vor dem tiefblauen Polarmeer einen arkti- schen Strand entlangtrabt. Dr. Willy Tegel hat das Bild im Blick, wenn er im Institut für Forst- wissenschaften der Universität Freiburg an sei- nem Computer sitzt. Dem Eisbären ist der Archäologe im Sommer 2010 auf Grönland be- gegnet, und dieses Zusammentreffen war so un- gemütlich, dass Tegel das kleine Zeltlager, das er mit anderen Wissenschaftlern teilte, umgehend räumte und sich in Sicherheit brachte. Dabei war Tegel gar nicht hinter dem Bären, sondern hin- ter dem grauen Stamm Treibholz her, der auf dem Schnappschuss im Vordergrund zu sehen ist. „Ein einzigartiges Klima- und Umweltarchiv“ nennt der Wissenschaftler das Holz, das an den arktischen Küsten angetrieben wird. In einem mehrjährigen Forschungsprojekt hat er die Herkunft und das Alter von Stämmen bestimmt, die in großen Mengen an den nahezu baumlosen Inseln im Nordatlantik angeschwemmt werden. Aus Sibirien und Nord- amerika wird Holz so reichlich angetrieben, dass Sägewerke auf Grönland und Island nur damit arbeiten. Auf das Jahr genau Schon während seines Studiums hat sich Tegel auf die Jahrringforschung, auch Dendrochronologie genannt, spezialisiert. Der Name dieses jungen Wissenschaftszweigs leitet sich vom altgriechischen „dendron“ – für „Baum“ – ab. Die Dendrochronologie widmet sich der genauen Altersbestimmung von Holz, eine Methodik, die unter anderem bei der Datierung wertvoller Musikinstrumente zum Ein- satz kommt. Durch die Analyse archäologischer Holzfunde können Dendrochronologinnen und -chronologen aber auch die Klimabedingungen in früheren Epochen rekonstruieren. uni wissen 02 2015 „Jahrringe von Bäumen sind so genau und so individuell wie ein Strichcode“ 17 hat, wo es trocken, wo es warm und wo es kalt war. Das Jahr 1315 war zum Bei- spiel ungewöhnlich regenreich, während zu Beginn des 15. Jahrhunderts eine mehr als 20 Jahre währende Dürre von dramatischen Aus- maßen herrschte. Die katastrophalen Folgen für die Menschen sind durch schriftliche Quellen belegt, doch die Bäume geben weit präzisere Aus- künfte über die Witterungs- verhältnisse. Vom Spätglazial bis zur Gegenwart Tegel gar nicht hinter dem Bären, sondern hin- ter dem grauen Stamm Treibholz her, der auf dem Schnappschuss im Vordergrund zu sehen ist. „Ein einzigartiges Klima- und Umweltarchiv“ nennt der Wissenschaftler das Holz, Küsten angetrieben wird. In einem mehrjährigen Forschungsprojekt hat er die Herkunft und das Alter von Stämmen bestimmt, die in großen Mengen an den nahezu baumlosen Inseln im Nordatlantik angeschwemmt werden. Aus Sibirien und Nord- amerika wird Holz so reichlich Die Jahrringforschung, auch Dendrochronologie genannt, widmet sich der genauen Altersbestimmung von Holz. uni wissen 022015