Visionen zur Nachhaltigkeit von der Werkstoff- seite her überprüfen“, beschreibt Hiermaier seinen Forschungsansatz. Ein Beispiel ist die Elektro- mobilität: Damit Elektrofahrzeuge eine hohe Reichweite erzielen, müssen sie leicht sein – was aber nicht zulasten der Sicherheit gehen darf. Sie brauchen Batterien, die so verbaut sind, dass sie bei einem Unfall keine Gefahr darstellen. Die Industrie benötigt für die Elektroautos andere Werkstoffe als für herkömmliche Fahrzeuge, etwa seltene Erden wie Neodym oder Lanthan. „Wie fin- den und gewinnen wir diese Materialien, wie ver- arbeiten wir sie ressourcenschonend, wie recyceln wir sie?“, fragt Hiermaier. „Wir wollen die gesamten Verarbeitungsprozesse vom Ausgangsmaterial bis zum fertigen Produkt effizient und nachhaltig gestalten.“ Damit dies gelingt, arbeitet er mit Partnern aus der Industrie zusammen, vor allem im Automobil- und Luftfahrtsektor. Ziehen und drücken Bei den Werkstoffprüfungen geht es darum, die Komplexität eines realen Unfalls so gut wie möglich abzubilden. „Wir haben einen Prüfstand entwickelt, der es ermöglicht, Material in mehrere Richtungen gleichzeitig zu ziehen und zu drü- cken“, berichtet Hiermaier. Die Daten aus den Experimenten nutzt er, um das Materialverhalten mathematisch zu beschreiben. Auf diese Weise will er Simulationen am Computer verbessern – die wiederum Ausgangspunkt für neue Versuche sind. „Ziel ist ein Programm, das präzise Vorher- sagen ermöglicht“, erklärt der Forscher. Ein großer Teil des Wegs dorthin ist schon beschritten: Auto- mobilhersteller etwa simulieren Gesamtfahrzeug- Crashs für neue Modelle am Computer, lange bevor sie einen Prototyp bauen. „Die Prognose- qualität ist hoch, sodass deutlich wird, wo Problem- zonen zu erwarten sind und welche Lösungen es geben könnte. Auch das ist nachhaltig, wenn man dafür nicht erst einmal Autos kaputt fahren muss.“ Dennoch sind Crashtests zu einem späteren Zeit- punkt in der Entwicklung bislang weiterhin erforder- lich – noch hat keine Simulation die Aussagekraft des Experiments erreicht. Die Bandbreite der Materialien, die Hiermaier untersucht, reicht von Stahl- und Aluminium- blechen über Gläser für Scheiben bis hin zu Ge- weben für Airbags. Darunter sind viele so genann- te Verbundwerkstoffe, in denen mehrere Materialien kombiniert sind. Ein Schwerpunkt liegt auf Kohle- faserverbundwerkstoffen für die Gehäuse von Autos oder Flugzeugen. Wichtig sei ihm ein ganzheitlicher Ansatz, sagt der Forscher – was die Vorhaben komplex macht. In einem Projekt mit einem Automobilhersteller entwickelte er bei- spielsweise ein Material aus Kohlefasern und Harzen, dessen mechanische Eigenschaften zu- nächst vielversprechend erschienen. Die Analyse des gesamten Produktionsprozesses zeigte aber auch: Die Herstellung wäre teuer und das Recy- cling problematisch, da sich die kombinierten Stoffe nur mit hohem Energieaufwand wieder von- einander lösen lassen. In einem anderen Projekt lautet die Aufgabe, in einen Kohlefaserverbund- werkstoff für Flugzeuge einen Blitzschutz zu inte- grieren. Aktuell werden dafür dünne metallische Fäden in das Material eingebracht. Das Teilziel „leicht und sicher“ ist damit nicht vollständig er- reicht, weil die Metallfäden den Werkstoff schwerer machen. Alternativen wie die Nutzung von Graphen sind wenig erforscht. Graphen ist eine zweidimen- sionale Form von Kohlenstoff und besitzt eine sehr gute Wärme- und Stromleitfähigkeit sowie eine enorme Festigkeit, aber bis zur Anwendungs- reife braucht es neue Verarbeitungswege und wei- tere Studien. Effizient und nachhaltig – das bedeutet auch: Die Werkstoffe und Bauteile müssen wider- standsfähig sein. Diesen Aspekt nimmt die so „Ich möchte Visionen zur Nachhaltigkeit von der Werkstoffseite her überprüfen“ 6