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uni'wissen 02-2015

„Wenn wir denken, wir stehen unter Beobachtung, verhalten wir uns nicht so, wie wir es sonst täten“ Um dorthin zu gelangen, hat Orrù zunächst analysiert, welche negativen Effekte Überwa- chung erzeugen kann. Sie wertete Interviews mit Bürgern, die zu verwandten Themen befragt wur- den, aus und erstellte einen Katalog der Überwa- chungsnebenwirkungen. „Da ist zum einen die Verletzung der Privatsphäre“, sagt sie: sei es durch Leibesvisitationen, die Durchsuchung oder Überwachung von Privaträumen oder die Kontrolle persönlicher Daten wie bei der Aufzeichnung von Telefon- oder E-Mail-Kontakten. Hinzu komme die Angst, dass persönliche Daten und Informationen nicht ausreichend geschützt sind oder missbraucht werden könnten. Darüber hinaus sei ein „Sicherheitsparadox“ zu beobachten: „Überwachungstechnologien werden eingeführt, um ein Gefühl von Sicherheit zu ver- mitteln – sie können aber auch das Gegenteil be- wirken.“ So könne etwa die Videoüberwachung eines Platzes bei Menschen den Eindruck erwe- cken, dass es sich um einen besonders gefährlichen Ort handelt. Und bei groß angelegten Aktionen von Geheimdiensten sei die Angst vor dem Missbrauch von Daten möglicherweise größer als die Hoffnung auf mehr Sicherheit. Zudem wirke sich die Überwachung laut Orrù nicht nur auf das Individuum, sondern indirekt auch auf die Gesellschaft aus: durch so genannte „chilling effects“ – Abkühlungseffekte, manchmal auch Abschreckungseffekte genannt. „Wenn wir denken, wir stehen unter Beobachtung, verhalten wir uns nicht so, wie wir es sonst täten.“ Hierbei geht es um vorauseilenden Gehorsam oder Selbst- zensur, die bewusst oder unbewusst schon durch das Gefühl einer Überwachung entstehen. „Das kann negative Auswirkungen zum Beispiel auf die Versammlungsfreiheit haben“, sagt Orrù – weil die Bürger sich im Zweifel lieber zurückhielten. Solche möglichen Probleme müssten künftig bereits bei der Entwicklung von Überwachungs- technologien – „by Design“ – und nicht erst nach- träglich berücksichtigt werden. Orrù bezieht sich dabei auf das in der EU zurzeit viel diskutierte Konzept von Ann Cavoukian, der ehemaligen Datenschutzbeauftragten von Ontario/Kanada, das unter dem Namen „Privacy by Design“ be- kannt geworden ist. Den Begriff der Privatheit möchte Orrù allerdings ersetzen: „Wenn es Überwachung gibt, kann es nicht zu hundert Pro- zent Privatheit geben. Deshalb könnte der Be- griff zu Missverständnissen führen.“ Außerdem seien nicht alle der aufgeführten Nebenwirkun- gen unter diesen Begriff zu fassen. Drei neue Grundsätze An seine Stelle sollen daher drei Begriffe tre- ten. Der erste Grundsatz müsse lauten, Eingriffe und Verletzungen so gering wie möglich zu hal- ten: „Minimum Harm by Design“. Zweitens müs- se von Beginn an erkennbar sein, welche Maßnahmen zu welchem Zweck eingeführt wer- den, wie sie funktionieren und wie effizient sie sind: „Transparency by Design“. Und drittens müsse stets klar sein, wer wann was mit welchen Daten mache und wer dafür verantwortlich sei: „Accountability by Design“. Dies ließe sich tech- nisch zum Beispiel in Logdateien dokumentieren. Im Bericht des SURVEILLE-Projekts empfiehlt Orrù der EU, diese Prinzipien künftig allen For- schungen und Entwicklungen im Bereich der Si- cherheitstechnologien zugrunde zu legen. Wie Überwachung wirkt, beschäftigt Orrù auch in ihrem Habilitationsprojekt, das der Frei- Der Allesseher: Das Panopticon-Prinzip erlaubt es einem Wärter, jeden Gefangenen im Blick zu haben. Die Insassen wissen jedoch nicht, wann sie beobachtet werden – und stehen stets unter Druck, auf einwandfreies Verhalten zu achten. Foto: Friman/Wikimedia Commons 37uni wissen 02 2015 37uni wissen 022015

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